Die Wiedergeburt von Omega
Chapter 788: Goldstreifen (Kap.789)

Chapter 788: Goldstreifen (Kap.789)

Der Himmel war von Licht durchzogen, als sich der goldene Drache durch die Wolken schlängelte und mit seinen Flügeln das letzte Aufleuchten der untergehenden Sonne einfing.

Er zog seine Kreise über ihnen, Nebelschwaden folgten seinen Flügeln, wo der gefrorene Atem des Berges noch dicht in der Luft hing. Er brüllte nicht. Er stieg nicht in Feuer und Ruhm herab. Er bewegte sich lediglich so, als hätte er schon immer zu diesem Himmel gehört.

Unten war die Welt zur Ruhe gekommen.

Neveahs Atem stockte.

Nicht aus Angst, sondern aus etwas anderem.

Etwas Tiefgründigerem.

"Xenon..." Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Doch Xenon starrte bereits mit weit aufgerissenen Augen in den Himmel. Er verharrte neben Neveah, sein Blick fest auf das Wesen über ihnen gerichtet. Eine Veränderung lag in der Luft, die beide mit gleicher Stärke spürten. Eine Erinnerung, ein Gewicht und etwas, das älter war, als sie beide zu benennen vermochten.

Neveah wagte einen Schritt nach vorne, ihre Stiefel knirschten über den frostbedeckten Boden, der eigentlich kein vulkanisches Gestein sein durfte. Ihre Finger zitterten, wo sie die Zügel der Kontrolle umklammerten, an denen sie schon zu lange festgehalten hatte.

Der Drache stürzte sich nach unten. Veränderte sich in der Luft. Das Licht brach um ihn herum wie zerbrochenes Glas, Strahlen goldener Schuppen wichen und gaben den Blick auf einen Mann frei, der in schwarze Roben gehüllt war.

Er landete mit einem Aufprall, der den gefrorenen Boden knacken ließ. Seine Schultern waren schwer, sein silbernes Haar wild, vom Wind zerzaust und verknotet. Seine Augen...

bei den Göttern.

Diese Augen.

Neveah starrte ihn an, unfähig sich zu rühren. Die Luft zwischen ihnen wurde schwer von der Stille, die das freudige Gebrüll übertönte, das den Himmel zerriss und die Erde erzittern ließ, während sich die Höllendrachen darüber sammelten.

Das Eis bewegte sich unter ihren Füßen. Neveahs Welt war still geworden, sie beobachtete.

Jian.

Er stand im frostbedeckten Aschenboden, erhaben und majestätisch. Der Schnee, den der Vulkan nie hätte sehen sollen, bedeckte seine Roben. Seine Kleidung war abgetragen und zeugte von Schlachten, sein Kiefer war schattiert von tagelangem, wochenlangem Bart und Spuren einer Dimension, die sie lieber nicht benennen wollte.

Er sah genau so aus wie in ihren Träumen. Und doch zugleich überhaupt nicht wie in ihren Träumen.

Jian sprach nicht.

Zuerst fanden seine Augen die ihren, und sie starrten sich einfach nur an. Als ob jedes ausgesprochene Wort in diesem Moment den zerbrechlichen Faden zerreissen würde, der sie noch zusammenhielt.

"Du bist hier", hauchte Neveah schließlich.

Jian blinzelte. Ein kaum merkliches Nicken. "Jetzt bin ich es."

Neveah machte einen zögernden Schritt nach vorne. Und dann noch einen.

Jian rührte sich nicht von der Stelle, er wartete... einen Schritt, zwei, bis sie nahe genug war, um ihn zu berühren. Nahe genug, um genau den Moment zu sehen, in dem sich seine Brust mit dem Seufzer hob, den er sich bis jetzt verwehrt hatte.

"Du bist hier..." wiederholte Neveah, als hätte sie nicht gerade schon dieselben Worte gesagt.

Ein leises Zucken ging über Jians Mundwinkel. Dieses stille, unauffällige Lächeln, das sie nicht bemerkt hatte, war der kostbarste Anblick. "Ja, das bin ich."

Neveah sah zu ihm auf, sah ihn wirklich an. "Ich dachte... Jian, ich fürchtete... ich..."

"Ich weiß", seine Worte waren leise, schmerzerfüllt und doch ehrfurchtsvoll. "Ich habe dich gespürt. Sogar dort."

Sie bemerkte die blutigen Flecken auf seinen Roben und das stetige Rinnsal an seinem rechten Arm.

Blut... sein Blut.

Er war verletzt...

"Du bist verletzt", ihre Stimme brach bei dem letzten Wort.

Jians Augen suchten ihre, starrten sie lange schweigend an. Dann griff er langsam nach vorne und strich mit dem Rücken seiner Finger über ihre Wange. "Es tat mehr weh, von dir getrennt zu sein."

Neveahs Augen brannten, aber sie wagte es nicht zu weinen. Noch nicht. Nicht, wenn diese Tränen ihre Sicht auf ihn verwischen würden. Sie lehnte sich gegen seine Berührung, atmete stoßweise."Ich hätte fast aufgehört zu hoffen", flüsterte sie. "Und ich habe mich dafür gehasst."

Der Raum zwischen ihnen war so voll mit ungesagten Worten, dass es keiner großen Erklärungen bedurfte.

Nur Atem. Nur Anwesenheit.

Eine lange, schmerzhafte Stille verging, bevor ein leises Husten neben ihnen ertönte.

Xenon stand knapp außerhalb ihrer Reichweite, die Arme verschränkt, den Blick auf Jian gerichtet. Sein Gesicht verriet nichts. Aber die Art, wie sich sein Kiefer bewegte, sagte genug.

Jian drehte sich zu ihm um, und eine Sekunde lang waren beide Männer wie erstarrt in diesem Blick, keiner von ihnen wusste, wie er die Lücke schließen sollte.

Dann atmete Xenon aus und schritt vorwärts.

"Du siehst furchtbar aus", sagte er mit fester Stimme.

"Du klingst, als wärst du ein weiteres Jahrhundert gealtert", erwiderte Jian, wobei seine Lippen ein süffisantes Grinsen verrieten.

Xenon blieb vor ihm stehen. Sie starrten sich an, als ob das alles wäre, was es zu sagen gäbe.

"Ich hätte nicht gedacht, dass du zurückkommst", sagte Xenon schließlich. "Nicht wirklich."

Der Ton seiner Stimme verriet seine Wahrheit. Die Erleichterung war in jedem Wort zu spüren.

"Ich dachte nicht, dass ich das darf." Jians Tonfall war leise, fast misstrauisch. "Aber ich bin trotzdem hier."

Wieder herrschte Schweigen. Dann murmelte Xenon: "Ich sollte dich schlagen."

"Das hängt von deiner Fähigkeit ab, einen Treffer zu landen."

Xenon spottete leise vor sich hin, aber ein Grinsen lag auf seinen Lippen.

Und mit einem Mal entspannte sich die Atmosphäre. Die Stille zerbrach. Nicht laut. Nur genug, um die Wärme durchzulassen.

Xenon streckte die Hand aus und umklammerte Jians Unterarm. Jian erwiderte seinen Griff.

Die Stille ihrer Bruderschaft. Von gemeinsamem Blut und Kämpfen. Von allem, was sie nicht sagen konnten, zusammengepresst in diesen einen Griff.

Als sie sich voneinander lösten, nickte Xenon einmal. "Wir haben eure Festung am Laufen gehalten... gerade so. Aber wir haben es geschafft."

Jian warf einen Blick auf Neveah, die sie mit einer müden, schmerzenden Anmut beobachtete, wie sie nur eine Königin tragen kann. "Ich weiß."

Er drehte sich ganz zu ihr um und sprach dieses Mal leiser. "Gibt es noch einen Platz... für mich?"

Neveah blinzelte, da sie die Frage nicht erwartet hatte. Ihre Kehle schnürte sich zu.

"Du brauchst nicht zu fragen", sagte sie leise. "Du hattest schon immer einen Platz."

"Wo?" drängte Jian.

"Bei mir", antwortete sie. "Immer bei mir."

Jian blickte zu Boden, seine Schultern lösten sich sichtlich von der Anspannung. Dann griff er langsam nach ihrer Hand. Er hielt sie mit der Sanftheit von jemandem, der vergessen hatte, was Berührung war.

"Ich werde nicht wieder weggehen", schwor er feierlich.

Neveahs Griff wurde fester, ihr Herz stotterte. "Tu es nicht. Ich müsste dich suchen."

Er lächelte, ein seltenes Lächeln, das seine Augen aufleuchten ließ. "Bitte tu das. Wenn ich mich jemals wieder verirre ... komm und such mich."

"Das werde ich", versprach Neveah.

Es war kein Gelübde für sie. Aber eine Wahrheit, die bereits in den Spalten der Erde geschrieben stand.

Einmal war genug. Es würde keine weitere Trennung geben.

Und schließlich... schließlich lehnte sich Neveah an seine Brust. Jian schlang seine Arme um sie und atmete leise aus, wie ein Mann, der sich in der einzigen Sache verankert, die wahr ist.

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